Autor: DiakonischeFluechtlingshilfe

  • Bericht über die Flüchtlingsarbeit im Jahr 2023

    Dieser Bericht deckt das Jahr 2023 ab. In diesen 12 Monaten sind die Beratungszahlen erneut deutlich gestiegen: von 1.794 in 2022 auf 2.836 einzelne Beratungskontakte in 2023.
    Damit sind wir mit unserem Team aus nur einer hauptamtlichen und vielen unermüdlichen aktivistischen und ehrenamtlichen Kräften immer mal wieder an unsere Grenzen geraten.
    Dabei tragen uns die unzähligen Begegnungen, die vielen gewonnenen Bleiberechtskämpfe und das gemeinsame Erleben von Solidarität.

    Das Team ist daher weiterhin stabil und hat sich zu Beginn 2024 sogar erweitert. Zudem haben wir die fachliche Kooperation mit dem Hessischen Flüchtlingsrat und mit der Fachberatung im Diakonischen Werk deutlich intensiviert.


    Die Finanzierung durch den Kirchenkreis für die hauptamtlichen Stelle hat einen entscheidenden Anteil daran gehabt, dass wir uns weiterhin auf den Kern unserer Arbeit konzentrieren können.

    Das Jahr 2023 in Schlaglichtern

    Abschiebecharter in den Irak, Rechtfertigung physischer Gewalt an den Außengrenzen, Schulterklopfen für Melonis „Albanien-Lager“ oder Planspiele für die Auslagerung der Asylverfahren nach Ruanda: der rassistische Überbietungswettbewerb in Dauerschleife. Ein widerlicher Chor der Hetze aus nahezu allen Parteien. Praktisch spürbar ist dies sofort in unzähligen „Einzelfällen!, wenn die schlimmsten Rassisten in den Ausländerbehörden sich ermutigt sehen und ihre „Ermessensspielräume“ zu Ungunsten der Betroffenen mit aller Gewalt ausschöpfen.


    Während auf verschiedenen Ebenen und aus sämtlichen politischen Richtungen die Asyl- und Menschenrechte angegriffen werden, haben gleichzeitig die Flucht- und Migrationsbewegungen selbst eine nachhaltig große Durchsetzungskraft. Die Ankunftszahlen z.B. in Italien
    oder auch in Deutschland gehören zu den höchsten der letzten Jahrzehnte. Nahezu 160.000 Menschen werden es zum Ende des Jahres 2023 von Tunesien und Libyen aus nach Italien
    geschafft haben. Das sind – trotz und gegen Melonis postfaschistische Regierung – über 50% mehr als im Jahr zuvor und nach 2016 die höchste Zahl der Ankünfte, die es je in Italien
    gab. Allein im Oktober 2023 gab es in Deutschland über 30.000 neue Aslyantragstellungen, im November nun sogar über 35.000. Die Gesamtzahl wird bis Ende des Jahres weit über
    300.000 liegen, ebenfalls eines der Rekordjahre. (Kompass Newsletter No.120) Auch in der Beratung sind die großen Widersprüche dieser Zeit sehr stark zu spüren gewesen. Während der Jahresbeginn davon geprägt war, dass Viele, die lange Jahre immer wieder unsere Beratung gesucht haben, es nach Jahren des Kampfes um ein Bleiberecht endlich schafften, über die neuen Bleiberechtsregelungen endlich einen Aufenthaltsstatus zu
    erhalten, liefen sehr viele – vor allem afghanische und syrische neu Angekommene – durch die Beratung, die bereits nach 6 Monaten des Wartens auf einen zu erwartenden positiven Bescheid die Geduld verloren. Das Tempo des Ankommens war in ganz Europa allen Push-Backs und aller brutalisierter Anti-Migrations-Rhetorik zum Trotz ungebrochen hoch.
    Die Menschen durchquerten unter anderem die Balkanroute in viel höherem Tempo als in den Jahren zuvor. Entsprechend war die Stimmung in den sehr vollen offenen Beratungen auch stark von dieser Energie geprägt. Immer wieder trafen wir alte Bekannte, die nun Familienangehörige und Freund:innen in die Beratung begleiteten. Die unterschiedlichen Communities waren stark mit der Unterstützung derer beschäftigt, die sich noch auf dem Weg
    befanden.


    Hier angekommen, fanden sie sich konfrontiert mit der Drohung von inneneuropäischen
    Abschiebungen wegen der Fingerabdrücke, viele landeten in schlecht organisierten Sammellagern und waren mit der immer größer werdenden Hetze aufgrund der teils hausge-
    machten sozialen Probleme konfrontiert.

    Kein Tag vergeht, an dem nicht die Angst vor geflüchteten Menschen geschürt wird. Häufig geht es in der Debatte nicht mehr um tatsächliche Lösungen, sondern nur noch darum, abzuschrecken und abzuschieben. Flüchtlingspolitische Fragen werden missbraucht, um die Verantwortung für gesamtgesellschaftliche Versäumnisse und infrastrukturelle Mängel auf andere zu schieben…Vergessen werden dabei auch die Erfolge der Flüchtlingsaufnahme nach 2015 oder die Aufnahme von einer Million Menschen, die 2022 aus der Ukraine flüchte-
    ten. Dabei zeigen die Beispiele: Die Gesellschaft kann viel, wenn die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schafft.

    https://www.proasyl.de/thema/fakten-zahlen-argumente/

    Ankunfts- und Abschiebezahlen

    Die Ankunftszahlen stiegen im Jahr 2023 weiter an, insgesamt 351.915 Asylanträge wurden in Deutschland gestellt. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies eine weitere Steigerung, dennoch erreichen die Zahlen bei weitem nicht das Niveau aus den Jahren 2015 und 2016. Im Jahr 2023 ist Syrien das Hauptherkunftsland, gefolgt von der Türkei und Afghanistan.


    Personen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, müssen in Deutschland und in anderen EU-Ländern kein reguläres Asylverfahren durchlaufen (und sind damit in der Statistik über
    Asylanträge nicht enthalten). Sie können zunächst ohne Visum einreisen und erhalten ohne die Prüfung ihres Aufenthaltsrechts einen temporären Schutz-Status. Seit Kriegsbeginn bis
    Ende Dezember 2023 wurden in Deutschland etwa 1,1 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine gezählt. Eine genaue Zahl lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit feststellen. Einige Personen könnten weitergereist oder zurück in die Ukraine gegangen sein.


    Insgesamt sind im Jahr 2023 16.430 Personen aus Deutschland abgeschoben worden, davon insgesamt 5.053 innerhalb Europas nach der Dublin-III-Verordnung, also weil sie auf der Flucht Fingerabdrücke in anderen europäischen Ländern abgegeben hatten. Damit ist die Zahl der Abschiebungen zwar deutlich gestiegen, in Relation zu den Ankunftszahlen gesehen aber eher rückläufig.


    Sehr viele dieser Abschiebungen wurden als sogenannte Chartermaßnahmen vollzogen, insgesamt 204 eigens dafür gecharterte Flugzeuge, mit denen 6.723 Personen abgeschoben wurden. Die Zielländer der Chartermaßnahmen waren: Ägypten, Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Gambia, Georgien, Ghana, Griechenland, Irak, Kolumbien, Kongo (Demokratische Republik), Kosovo, Kroatien, Libanon, Mauretanien, Moldau, Montenegro, Niger, Nigeria, Nordmazedonien, Pakistan, Rumänien, Senegal, Serbien, Sierra Leone, Spanien, Tunesien und Türkei.

    In der Beratung schlägt sich das im Sinne einer deutlichen Erhöhung der Zahl derer, die die Beratung aufsuchen nieder.

    Beratungsschwerpunkte im Überblick

    Zweimal wöchentlich (immer Montags 14:00-17:00 Uhr sowie Donnerstags 12:00- 14:00 Uhr) bieten wir in der Metzgerstrasse 8 in Hanau das Flüchtlingscafé an, in dem offen beraten wird. Das Flüchtlingscafé ist nicht zuletzt auch ein Ort der Begegnung von Geflüchteten und der Stärkung von solidarischem Handeln. Hierher kommen Menschen mit unterschiedlichen Themen und Fragestellungen. Mittlerweile sind an den meisten Beratungstagen die Beratungszeiten deutlich länger und wir beginnen in aller Regel bereits um 10 Uhr morgens.

    Beratung im Asylverfahren

    Unsere Beratung fokussiert sich vor allem auf Personen, deren Aufenthaltsstatus (noch) ungesichert ist:

    • Neuangekommene, die gerade erst einen Asylantrag gestellt haben und noch auf das Ergebnis warten
    • aufgrund der Fingerabdrücke oder einen Aufenthaltsstatus in anderen europäischen Ländern von Abschiebung innerhalb Europas Bedrohte
    • im Asylverfahren Abgelehnte und Menschen, die sich im Klageverfahren befinden
    • wenn Klageverfahren ebenfalls negativ enden und nur noch andere Wege der Aufenthaltssicherung möglich sind
    • Menschen, die bereits mit Sanktionen, mit Leistungskürzungen unterhalb des Existenzminimums und mit Arbeitsverboten belegt sind
    • aus anderen europäischen Ländern Abgeschobene, die weitergeflohen waren und dann wieder bei null anfangen müssen
    • teilweise auch illegalisierte Personen

    Ihnen bieten wir an:

    • Hilfe bei Fragen rund um das Asylverfahren, auch Anhörungsvorbereitung
    • Unterstützung bei abgelehntem Asylantrag, bei Anwaltssuche und Vorbereitung auf Klageverfahren
    • Beratung bei drohender Abschiebung; auch in den sogenannten Dublin-Verfahren, wenn Abschiebungen innerhalb Europas drohen
    • Vermittlung, Beratung, Begleitung und Unterstützung (auch von Kirchengemeinden) bei Kirchenasylen
    • Hilfe bei Fragen zu Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
    • Stellen von Bleiberechtsanträgen, Landtagspetitionen oder anderen Anträgen zur Aufenthaltssicherung

    Psychosoziale Beratung

    • zum Umgang mit Traumatisierung und posttraumatischen Belastungsstörungen
    • Vermittlung und Begleitung zur Psychiatrie und zu psychologischer Versorgung
    • Vorbereitung und Vermittlung für psychologische Gutachten
    • Anregung gesetzlicher Betreuungen
    • Begleitung Geflüchteter, die Opfer von Straftaten und Gewalt wurden, teilweise auch Stellen und Begleiten von Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz

    Besonderen Beratungsbedarf haben Frauen auf der Flucht und sie nutzen die Beratung auch stark:

    • Opfer von Genitalverstümmelung (FGM = Female Genital Mutilation) v.a. aus Somalia, aber auch Äthiopien und Nigeria
    • Betroffene von Menschenhandel v.a. aus Nigeria
    • Gewalt gegen Frauen auf der Flucht
    • Trennung bei aufenthaltsrechtlichen Abhängigkeiten, teils in Verbindung mit häuslicher Gewalt.

    Hier bemühen wir uns um Weitervermittlung an qualifizierte Rechtsanwältinnen, Beratungsstellen wie FIM in Frankfurt, die sehr gute Beratung sowohl für Opfer von Menschenhandel als auch von FGM anbieten und ggfls. Unterbringungen in Frauenhäusern vermitteln.

    Weitervermittlung zu anderen Beratungsstellen

    Begleitung und Hilfe bei Behördengängen (Ausländerbehörde und Sozialamt), bei Gängen zu Ärzt*innen, anderen Gesundheitsinstitutionen und Rechtsanwält*innen.
    Finanzielle Unterstützung von Geflüchteten bei Rechtsanwaltskosten im Asylverfahren Aufgrund des hohen Bedarfs und der sehr begrenzten Mittel sind Unterstützungsanfragen bei der Diakonischen Flüchtlingshilfe in der Regel auf maximal 100 Euro begrenzt. Wir unterstützen in Fällen von besonderer (juristischer) Bedeutung auch bei der Stellung von Rechtshilfeanträgen an Pro Asyl oder den Rechtshilfefonds des Diakonischen Werks.


    Dieses Jahr greifen wir im Folgenden zwei Bereiche der Beratung auf und beleuchten diese ausführlicher, zum einen die sogenannten Dublin-Verfahren und zum anderen das neu geänderte Bleiberecht.

    Dublin

    Unsere Beratung suchten im Jahr 2023 über 200 Personen, deren Asylanträge als “unzulässig” beschieden worden waren und denen die Abschiebung in andere europäische Länder drohte. Laut der Dublin-Verordnung soll dasjenige Land für das Asylverfahren zuständig sein, dass die Einreise “verschuldet” hat und wo die Person die ersten Fingerabdrücke abgegeben hat. Im Rahmen der Dublin-Verordnung ist eine 6-monatige Überstellungsfrist vorgesehen.
    In 2023 hatte der größte Anteil (52 Personen) Dublin-Bescheide nach Italien erhalten. Etwa gleichauf lagen Kroatien (48 Personen) und Österreich (42 Personen), gefolgt von Bulgarien (19 Personen) und dann im jeweils einstelligen Bereich Spanien, Frankreich, Rumänien, Litauen, Lettland, Belgien, Schweden, Tschechien, Portugal, Holland und die Schweiz.

    Zwischen Selbstorganisierung…

    Da die ultra-rechte italienische Regierung unter Meloni sich nach wie vor dem Dublin-System verweigerte, die Bundesregierung aber trotzdem nicht davon abrückte, die Asylanträge zunächst als unzulässig abzulehnen und die Abschiebung nach Italien anzuordnen, war das gesamte Jahr über die verrückte Ansage an die Geflüchteten in den vielen Italien-Fällen: wir hoffen die Ankunftszahlen in Italien bleiben weiterhin hoch und die italienische Regierung spielt euch mit ihrem Rassismus in die Hände. Denn solange sich die italienische Regierung der Kooperation verweigerte, drohte den Betroffenen schlicht keine Abschiebung nach Italien. In allen 52 Fällen verstrich die Überstellungsfrist entsprechend und im Anschluss wurden die Asylverfahren in Deutschland fortgeführt. Während die Angst in den ersten Monaten noch überwog und wir zu Jahresbeginn noch ein Kirchenasyl in Bruchköbel in einem Italien-Verfahren begleiteten, sprach sich diese Situation in den folgenden Monaten herum und es wurde leichter, die Panik zurückzudrängen, die ein Abschiebebescheid immer auslöst.
    In allen anderen Verfahren haben wir die Menschen teilweise wöchentlich in den Monaten der Angst begleitet. Unzählige Bewohner:innen von Gemeinschaftsunterkünften haben hierbei ihre Mitbewohner:innen solidarisch unterstützt. Viele Familien haben entfernte Verwandte für schwere Monate auf der Couch schlafen gehabt.

    …und Kirchenasyl

    In einer beeindruckenden Anzahl von 24 Fällen gelang es insgesamt 33 Betroffenen Kirchenasyl zu erhalten. An dieser Stelle geht ein großer Dank an die Gemeinden, die aus Überzeugung Menschen in Not beigestanden haben.

    In besonderer Weise gilt dies für die Freund:innen in Darmstadt, mit deren Vermittlung in 15 Fällen durch unsere Beratung vermittelte Kirchenasyle in unterschiedlichen Kirchengemeinden in Darmstadt und Seeheim gewährt werden konnten. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Dorothea Köhler und allen anderen, die die Kirchenasyle in Darmstadt zu einer sicheren Burg ausgebaut haben.

    Im Main-Kinzig-Kreis begleiteten und berieten wir jeweils ein Kirchenasyl in Bruchköbel und eins in Windecken. Daneben zwei Kirchenasyle in Büdingen im Wetteraukreis. Einige weitere
    Betroffene haben selbst weiter gesucht und sind unter anderem in Kirchenasylen in Kassel, Gießen und in einem Kloster in Bayern untergekommen.

    In vielen Fällen haben wir Abschiebeversuche erlebt, viele davon scheiterten, weil die Personen nicht in ihren Unterkünften angetroffen wurden. Manche scheiterten in letzter Minute
    durch den Widerstand der Betroffenen und die Weigerung von Piloten, unfreiwillig Reisende zu transportieren. Wir wissen von 6 erfolgten Abschiebungen nach Österreich und einer
    nach Belgien – möglicherweise sind es etwas mehr, weil wir nicht bei allen 200 Betroffenen, deren Frist im Jahr 2023 abgelaufen wäre, den Kontakt bis zum Ende der Frist halten konnten.

    Verlängerung von Überstellungsfristen auf 18 Monate

    In mehreren Fällen wurden bei Betroffenen die Überstellungsfristen auf 18 Monate verlängert. Wir haben gemeinsam mit der Fachberatung des Diakonischen Werks strategische Verfahren geführt und in mehreren Fällen erfolgreich vor Gericht erstreiten können, dass die Überstellungsfristen in den ursprünglichen Zustand zurückgesetzt wurden und damit die
    Dublin-Verfahren beendet werden mussten.

    Kürzungen von Sozialleistungen auf Null

    In mehren Fällen wurden Sozialleistungen im laufenden Dublin-Verfahren rechtswidrig auf null gekürzt. H. Putsche (Mohses) hat sich seit vielen Jahren auf Widerspruchs- und sozialrechtliche Eilverfahren gegen das Sozialamt spezialisiert und hat hier den Betroffenen in fast allen Fällen erfolgreich helfen können, gegen diese Kürzungen vorzugehen.

    Familie S. aus Maintal

    Familie S. aus Maintal (Eltern mit zwei Kleinkindern im Alter von 2 und 3 Jahren, kurdische Familie aus der Türkei) wurde im August 2023 in den frühen Morgenstunden von der Polizei abgeholt. Anwesend waren mindestens sechs Polizeibeamte.

    Die Familie wurde mit den verängstigten Kindern in einem Polizeibus nach München gefahren, da sie von dort nach Rumänien abgeschoben werden sollten (Dublin-Verfahren). Als sie in München auf dem Flughafen waren wurde ihnen mitgeteilt, dass der Flug storniert wurde, da Rumänien keine Kapazitäten habe, sie aufzunehmen. Sie wurden dann aufgefordert selbstständig zurück nach Hause zu fahren (etwa 400 km).

    Kurz danach lief die Überstellungsfrist ab und das Dublin-Verfahren ist nun für die Familie beendet. Nach einem unnötigen Schreck in den frühen Morgenstunden, von dem sich die Familie erstmal erholen musste.

    Familie S. aus Bruchköbel

    Am 20.11.2023 wurde in der Ausländerbehörde Gelnhausen das afghanische Ehepaar S. aus Bruchköbel festgenommen (Drittstaaten-Verfahren Bulgarien). Der 4jährige Sohn befand sich zu diesem Zeitpunkt im Kindergarten. Die Eltern wurden in Handschellen mit dem Polizeiauto nach Bruchköbel gefahren und dort das Kind abgeholt.
    Der Abschiebeversuch scheiterte am Frankfurter Flughafen, nachdem sich Frau S. In ihrer Panik selbst verletzt hatte. Herr S. wurde in Abschiebehaft genommen, seine verletzte Frau blieb mit dem kleinen Sohn orientierungslos am Flughafen, wo sie später von Familienangehörigen gefunden wurde.
    Herr S. floh bereits vor über 20 Jahren aus Afghanistan. Im Jahr 2012 wurde ihm in Bulgarien internationaler Schutz zuerkannt. Im Jahr 2018 gelang es ihm seine Ehefrau aus Afghanistan nach Bulgarien nachzuholen. Im Jahr 2019 wurde dann das jüngste Kind in Sofia geboren. Herr S. ist in Afghanistan verwundet worden. In Folge der Schussverletzungen leidet er bis heute an körperlichen Beschwerden. In Bulgarien wurde er zweimal operiert. Es gelang ihm in Bulgarien über einen langen Zeitraum zu arbeiten und den Lebensunterhalt für sich und seine Frau zu erwirtschaften. Als die Taliban in Kabul die Macht übernahmen, machte ihn die Sorge um seine älteren Kinder „immer mehr verrückt“, da offenbar die eigenen Erlebnisse von Todesangst immer wieder getriggert wurden. Zudem brach eine Vernarbung im Bauchraum auf (eine alte Verwundung aus dem Krieg). Herr S. ist seitdem nicht mehr arbeitsfähig.

    Im Jahr 2022 beschloss die Familie nach Deutschland weiter zu fliehen, da hier die ältere Tochter mit Mann und Kind lebt und Herr S. hoffte, hier zumindest seine Frau und sein Kind versorgt zu wissen, sollte ihm etwas zustoßen. Im Juni 2023 erging ein Drittstaatenbescheid durch das BAMF. Die Rechtsanwältin erhob Klage und stellte einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht. Der Eilantrag wurde im August 2023 abgelehnt.

    Herr S. Wurde trotz eines vorliegenden ärztlich-psychologischen Gutachtens für haftfähig gehalten, dann jedoch nach einigen Wochen aus der Abschiebehaft entlassen, weil seine Frau nicht reisefähig war und eine Abschiebung auf unabsehbare Zeit nicht vollzogen wer-
    den konnte.

    Die Familie versucht nach dieser schweren Zeit wieder langsam zu sich zu kommen. Der Kampf um ihr Bleiberecht ist noch lange nicht ausgestanden.

    Chancenaufenthalt und Bleiberecht

    Ab dem 1.1.2023 traten die bereits im Koalitionsvertrag 2021 versprochenen Änderungen im Aufenthaltsrecht bezüglich eines besseren Zugangs zum Bleiberecht für Geduldete endlich
    in Kraft. Ab dann konnten Familien nun nach bereits 4 Jahren (statt bislang 6) und Alleinstehende nach 6 Jahren (statt bislang 8) ein Bleiberecht (nach §25b AufenthG) erhalten. Zudem wurde eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe, der sogenannte Chancen-Aufenthalt möglich für alle, die die Voraussetzungen des §25b noch nicht erfüllten, aber zum Stichtag 31.10.2022 bereits 5 Jahre in Deutschland waren. Dieser Chancenaufenthalt (nach §104c AufenthG) ermöglichte eine Aufenthaltserlaubnis für 18 Monate, in denen dann die Voraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung (zu mindestens 51%), die Vorlage eines Passes und der Nachweis von Sprachkenntnissen (Sprachzertifikat Niveau A2) nachzuholen wären.

    Wir hatten bereits 2022 begonnen systematisch Personen zu kontaktieren, die lange Zeit geduldet waren und von der neuen Regelung profitieren konnten und begannen direkt am 2.1.2023 mit dem Stellen der ersten Anträge. Zunächst verlief bei den Ausländerbehörden Hanau und Gelnhausen die Prüfung der Anträge sehr schleppend. Von den am 2.1.23 gestellten Anträgen wurden die ersten im April 2023 geprüft und bewilligt.

    Im Verlauf des Jahres 2023 bis Anfang 2024 unterstützen wir etwa 75 Personen beim Stellen von Anträgen nach der neuen Bleiberechtsregelung, aufgeschlüsselt nach Herkunftsländern:

    • 20 Personen aus Äthiopien
    • 14 Personen aus Somalia
    • 12 Personen aus dem Iran
    • 9 Personen aus dem Irak
    • 9 Personen aus Pakistan
    • 5 Personen aus Afghanistan
    • 3 Personen aus Eritrea
    • 3 Kurd:innen aus der Türkei

    Bis auf wenige Ausnahmen (3x Landkreis Offenbach, 4x Wetteraukreis) kamen alle aus dem Main-Kinzig-Kreis bzw. dem Stadtgebiet Hanau.

    Die meisten der von uns gestellten laufenden Landtagspetitionen lösten sich in den ersten Monaten des Jahres 2023 über die neuen Bleiberechtsregelungen.

    Einige hatten bereits direkt alle Voraussetzungen des §25b erfüllt. Für diejenigen, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach §104c erhielten, verwiesen wir auf Projekte des IB zur Arbeitssuche und auf die Möglichkeiten der Beratung über das Grundbildungszentrum der Volkshochschule Hanau Sprachkurse und/oder Prüfungen vermittelt zu bekommen.

    Im Jahr 2024 wird eine der Herausforderungen sein, mit allen zu klären, dass sie rechtzeitig die Bedingungen erfüllen, um nicht nach den 18 Monaten wieder in den Status der Duldung zurück zu fallen. Dabei ergeben sich an einigen Stellen Herausforderungen:
    So haben einige große Probleme mit der Passbeschaffung, dies betrifft vor allem die Personen aus Afghanistan und aus Eritrea. Zudem gibt es mehrere Personen, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung kaum in der Lage sein werden eine Deutsch-Prüfung zu absolvieren und ein Zertifikat vorzulegen. Ein größeres Problem gibt es für alleinerziehende Mütter mit kleineren Kindern, die aufgrund der mangelnden KiTa-Plätze nicht beginnen können zu arbeiten.

    Wir haben parallel zur konkreten Einzelfallberatung auch an der Erstellung von Materialien zum Bleiberecht für den Webguide Welcome to Europe mitgewirkt. Diese finden sich online
    hier: https://w2eu.info/en/countries/germany/regularization-processes

    Perspektivisch dürften vor allem die beschleunigten Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ein Problem werden. Diesbezüglich haben wir unter anderem mit den Herkunftsländern Irak
    und Äthiopien in den letzten Monaten des Jahres 2023 eine massive Verschärfung und Beschleunigung erlebt, so dass immer mehr Betroffenen bereits nach weniger als 2 Jahren vollständig abgelehnt und nur noch geduldet sind.

    Herr H. aus Hanau

    Herr H. reiste im Mai 2015 in Deutschland ein, nachdem er zuvor bereits viele Jahre auf der Flucht verbracht hatte. Aufgrund staatlicher Verfolgung, da er sich an oppositionellen Studentenprotesten für die Einheit Äthiopiens beteiligt hatte und entsprechend mehrfach inhaftiert und durch staatliche Sicherheitskräfte mißhandelt wurde, floh er vor einer bevorstehenden Verhaftung im Jahr 2007 aus Äthiopien. Nach einer
    lebensgefährlichen Flucht, bei der er in Ägypten von Menschenhändlern entführt und Zeuge von Organhandel wurde, gelangte er zunächst nach Libyen, wo er ebenfalls
    gefangen gehalten wurde. Schließlich gelang ihm die Flucht über das Mittelmeer nach Europa, wo er im Mai 2014 nach der Rettung aus Seenot in Italien ankam. Auch in Italien konnte er aufgrund der menschenunwürdigen Lebensbedingungen nicht bleiben. Er wollte weiter nach England, wo er aufgrund seiner Sprachkenntnisse Fuß zu fassen hoffte und sich endlich ein Leben unter menschenwürdigen Bedingungen aufbauen zu können. Dies gelang ihm nicht und so stellte er schließlich in Dänemark einen erfolglosen Asylantrag. Aus Angst vor der Abschiebung floh er im Mai 2015 aus Dänemark

    Am 25.02.2019 wurde der Asylantrag durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als unzulässig abgelehnt. In dem ablehnenden Bescheid wird mit dem bereits in Dänemark erfolglos abgeschlossenen Asylverfahren argumentiert und damit, dass Herr H. keine neuen Gründe vortragen konnte. Der Eilantrag gegen diese Entscheidung wurde mit Beschluss vom 25.03.2019 abgelehnt. Seitdem war Herr H. vollziehbar ausreisepflichtig.

    Herr H. hat sich bei Lampedusa in Hanau engagiert, er demonstrierte mit uns in Hamburg und Berlin bei den Paraden von We’ll Come United. Seit 7 Jahren prägt
    das Bild des Marathons all unsere vielen Gespräche in der Beratung: “Gib niemals auf, irgendwann wirst du es schaffen. Kein Spurt, der lange Atem zählt.” Im Juli 2023
    zahlte sich der lange Atem dann endlich aus und Herr H. erhielt endlich ein Bleiberecht. Im Winter 2023 konnte er nach über 16 Jahren seine Mutter besuchen. Er brachte uns äthiopischen Kaffee mit. Von seiner Mutter eigens geröstet. Der Marathon hatte mit dem Einlauf ins Ziel ein Ende gefunden.

    Vernetzung lokal, regional und transnational – An diesen Netzwerken arbeiten wir mit

    AK Asyl

    Auf lokaler Ebene ist der Arbeitskreis Asyl seit 2014 (also inzwischen 10 Jahren) ein wichtiger Kreis für Vernetzung in Hanau. Der AK Asyl arbeitet zu Themen wie Deutschkurse, Freizeitangebote, Kirchen- und Bürger*innen-Asyl, Patenschaften, Schule und Ausbildung, Wohnungssuche und anderem mehr. Seit Herbst 2021 gibt es das Schreibzimmer
    als wöchentliches Angebot, das parallel zu unserer offenen Beratung und im engen Austausch stattfindet. Der AK Asyl trifft sich monatlich. Interessierte können gerne zu diesen
    offenen Treffen hinzustoßen.

    Initiative 19. Februar Hanau

    Viele aus unserem Team engagieren sich zudem von Anfang
    an und weiterhin ehrenamtlich in der Initiative 19.Februar Hanau und sind aktiv in der Aufrechterhaltung der Struktur der Anlaufstelle in der Krämerstr. 24, bzw. über die Arbeit im JUZ Kesselstadt.

    Vernetzung mit dem Diakonischen Werk und FIAM (Flucht, Interkulturelle Arbeit, Migration der Diakonie Hessen)

    Über verschiedene Austauschtreffen und Juristisches
    Coaching sind wir im engen Austausch mit Beratenden des Diakonischen Werks zu unterschiedlichen Themen. Im vergangenen Jahr intensivierte sich die Zusammenarbeit vor allem mit den beiden Fachberaterinnen Stefanie Dorn und Maria Bethke, ihnen an dieser Stelle einen herzlichen Dank.

    Hessischer Flüchtlingsrat

    Der Hessische Flüchtlingsrat hat inzwischen Beratungsprojekte
    zum Asylverfahren und zum Bleiberecht. Gegen Ende des Jahres 2023 begannen wir die Zusammenarbeit zu intensivieren und erhielten zeitweise tatkräftige Unterstützung. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Rosa Ackva.

    Aktionsbündnis gegen Abschiebung Rhein-Main

    Seit vielen Jahren vernetzen sich hier Aktive aus verschiedenen Gruppen unter anderem rund um die Themen Abschiebungen
    (vom Frankfurter Flughafen) und Abschiebehaft (in Darmstadt-Eberstadt).

    We’ll Come United

    Bundesweites Netzwerk selbstorganisierter Geflüchteter in dem wir uns seit seinen Anfängen 2017 aktiv beteiligen. Im April 2024 wird eine Konferenz des Netzwerks in Frankfurt stattfinden.

    Watch The Med Alarm Phone

    Das Alarm Phone ist nun im zehnten Jahr 24 Stunden täg-
    lich als Hotline für Geflüchtete in Seenot erreichbar. Von Beginn an ist ein Team aus Hanau an dieser Hotline beteiligt. Inzwischen organisieren sich hier 200 Aktive aus vielen verschiedenen Ländern.

    Welcome to Europe

    Der Webguide w2eu.info stellt seit 2010 vier-sprachig Informationen für Geflüchtete zur Verfügung. Seit Sommer 2022 engagieren sich neu hinzugekommene Aktivist:innen, die entlang der Migrationsrouten aktiv sind, und erweitern und erneuern alle
    Informationen.

    Das Team

    Die Beratungsarbeit der Diakonischen Flüchtlingshilfe ist in hohem Maße getragen von den vielen Beteiligten, die nicht hauptamtlich beraten.

    Marion Bayer

    Ist seit 1.1.2020 hauptamtlich mit 19 Wochenstunden tätig. Sie berät in der offenen Beratung zweimal wöchentlich. Die 2.836 erfassten Beratungen in 2023 beziehen sich nur auf diese Stelle, alle anderen Beratungen sind statistisch nicht erfasst.

    H. Putsche / Mohses

    Ist nun seit über drei Jahren in Rente, aber weiterhin aktiv, vor allem in sozialrechtlichen Fragen. Aus der offenen Beratung ist er zwar ausgestiegen, unterstützt aber weiterhin bei anfallenden Fragen und auch in der Verwaltung der vielen Akten sowie beim Versand der zahlreichen Anträge, Widersprüche etc..

    Doris Meinders

    Macht nach wie vor Beratung bezüglich Inkasso-Unternehmen und Handy-Verträgen und hilft bei Anträgen an das Versorgungsamt (Behindertenausweise). Sie hat schon viele Klient*innen vor überzogenen Mahnkosten bewahrt und zu angemessenen Einstufungen der Behindertengrade verholfen.

    Günther Kugler

    Berät seit vielen Jahren nach wie vor in Hartz-IV-Angelegenheiten, unter anderen auch viele Geflüchtete mit Aufenthaltsstatus. Neben der Beratung im Weststadt-Büro in Hanau-Kesselstadt berät er donnerstags auch in der offenen Beratung in der Metzgerstraße.

    Die Rezeption – Katha, Chucky, Kalle, Bob und seit Anfang 2024 neu dabei Lisbeth, Lin, Lara und Tina

    Alle sind auch sonst in der Metzgerstraße aktiv. Die Hälfte arbeitet seit geraumer Zeit in den offenen Beratungscafés mit. Seit Ende 2023/Anfang 2024 wurde die Rezeptionsgruppe erweitert. Montags und donnerstags ist jeweils eine*r von ihnen bei den Beratungscafés dabei. Die Rezeption erstellt die Anwesenheitsliste und schaut, wer wann dran ist. Sie haben ein offenes Ohr für diejenigen, die nicht warten können und helfen bei der Priorisierung. Sie unterstützen in vielen Fällen über diese Anwesenheit bei den Beratungscafés hinaus durch Begleitungen zu Ämtern und Ärzt*innen. Kurz gesagt: sie sind unersetzbar.

    Das Schreibzimmer des AK Asyl

    Seit Herbst 2021 hat sich aus dem Arbeitskreis Asyl eine
    neue Gruppe zusammengefunden, die montags parallel zur Beratung in der Metzgerstraße in der Stadtbibliothek (in Zusammenarbeit mit dem Seniorenbüro) ein Schreibzimmer anbietet. Dort gibt es Unterstützung bei Briefwechseln aller Art – eine große Entlastung!


    Die Französisch-Unterstützerinnen – Co & Lui

    Seit vier Jahren werden zunehmend Geflüchtete aus Guinea dem Main-Kinzig-Kreis zugewiesen. Zuvor kamen sehr wenige französischsprachige Menschen aus Westafrika hier her, dadurch gab es keine gewachsenen Community-Strukturen, die Neu-Ankommende unterstützen können.

    Einige Zahlen

    Statistisch haben wir nur die Einzelkontakte erfasst, die im Rahmen der zweimal wöchentlich stattfindenden offenen Beratungscafés stattfanden und von Marion Bayer durchgeführt
    wurden.

    Dabei kann es sein, dass Personen mehrfach die Beratung aufgesucht haben, was vor allem bei komplexen aufenthaltsrechtlichen Verfahren, die nur langfristig zu lösen sind und auch bei akut abschiebebedrohten Personen, die Angst haben müssen, sehr häufig der Fall ist. Uns ist es wichtig, dass alle Menschen, die in einem prekären Status leben sich jederzeit indieser Form niedrigschwellig Rat und Unterstützung suchen können.

    Erfasst sind auch sogenannte Verweisberatungen: aktuell vermitteln wir zum Beispiel Menschen mit Aufenthaltsstatus und Fragen zur Familienzusammenführung oder bei Fragen zu
    den Bundes- und Landesaufnahmeprogrammen Afghanistan zu den in Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis ebenfalls existierenden Beratungsstellen der Caritas und des Diakonischen Werks.

    Insgesamt handelte es sich im gesamten Jahr 2023 um 2.836 über dieses offene Angebot erfasste Beratungen. Dies ist ihn Vergleich zum Vorjahr (insgesamt 1.794 Beratungen in 2022 und 1.519 Beratungen in 2021) ein erneuter deutlicher Anstieg.


    Aufgeschlüsselt nach Monaten:

    JanFebMärAprMaiJunJulAugSeptOktNovDez
    283190222169223274210352232291201189

    Hinzu kommen (statistisch nicht erfasst):

    • Einzelberatungen, die nicht erfasst wurden, vor allem durch H. Putsche (Mohses)
    • die gesamte Schuldenberatung durch Doris Meinders
    • die Beratungen zu SGB II durch Günther Kugler
    • sowie ungezählte Begleitungen zu Ämtern und Behörden, Ärzt*innen, in die Psychiatrie und zu Gutachten-Terminen.

    Herkunftsländern im Jahr 2023 (nach Reihenfolge der Anteile in der Beratung):

    Afghanistan, Somalia, Syrien, Türkei (v.a. Kurd*innen), Guinea, Äthiopien, Iran, Irak, Nigeria, Pakistan, Eritrea, Albanien, Ghana, Aserbaidschan, Gambia, Senegal, Russische Föderation,
    Marokko, Tunesien, Algerien, Georgien, Kuwait.


    Wohnorte in ungefährer numerischer Reihenfolge:

    Hanau, Maintal, Großkrotzenburg, Bruchköbel, Erlensee, Langenselbold, Nidderau, Ronneburg, Rodenbach, Neuberg, Hammersbach, Schöneck, Gelnhausen, Schlüchtern, Bad-Soden Salmünster, Gründau, Wächtersbach, Hasselroth, Biebergemünd, Steinau a.d.Str., Sinntal, Bad Orb.

    Außerhalb des Main-Kinzig-Kreises v.a. Landkreis Wetterau (in beiden Landkreisen gab es im Jahr 2022 keine Flüchtlingsberatung durch das Diakonische Werk), vereinzelt auch aus den verschiedenen Hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen, v.a. Verwandte und Bekannte
    von in Hanau und dem MKK lebenden Geflüchteten.

    Hanau, den 08.04.2024

  • Vorstandswechsel in der Diakonischen Flüchtlingshilfe 2022

    Nach 18 Jahren Vorstandsarbeit in der Diakonischen Flüchtlingshilfe MKK hat Pfarrer i.R. Otto Löber sein Amt als Vorsitzender des Vereins in der Mitgliederversammlung am Mittwoch, den 30.03.2022, aus persönlichen Gründen aufgegeben und ist gleichzeitig auch aus dem Vereinsvorstand ausgeschieden.

    Pfr. i.R. Otto Löber „legt sein Amt in die Hände“ von Pfrin. Heike Käppeler
    Pfr. i.R. Otto Löber „legt sein Amt in die Hände“ von Pfrin. Heike Käppeler


    In der für diesen Tag terminierten Neuwahl des Vorstandes wurde Pfarrerin Heike Käppeler durch die Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit zur neuen Vorsitzenden gewählt. Der neue stellvertretende Vorsitzende ist der Schulpfarrer Wolfgang Bauer; er übernimmt die Aufgabe von Burkhard Nobbe, der
    nach seinem Umzug nach Mannheim für eine Wiederwahl nicht mehr zur Verfügung stand. Schatzmeister Ottmar Muth und Schriftführer Thomas Ohl stellen die Kontinuität der bewährten Arbeit sicher und als Beisitzer sind die Pfr. i.R. Ulrich Hoffmann wieder- und Fritz Perels neu gewählt worden.
    Die Diakonische Flüchtlingshilfe MKK e.V. wurde 1990 ins Leben gerufen. Seit über 30 Jahren werden Menschen aus aller Welt begleitet, betreut und beraten, um nach ihrer Flucht in Deutschland anzukommen. Darüber hinaus werden
    Kirchengemeinden und Einzelpersonen unterstützt, Kirchenasyl wird begleitet, juristische Unterstützung vermittelt und Behördengänge ermöglicht. Viele Dinge haben sich im Laufe der Zeit verändert, die Gruppe der aktiven und fördern den Mitglieder ist stets gewachsen und hat dazu beigetragen, dass das Angebot
    der Diakonischen Flüchtlingshilfe erweitert und entsprechend der aktuellen Anforderungen vervielfältigt werden konnte. Dies bestätigt der ausfühliche Jahresbericht 2021, den die einzige hauptamtliche Mitarbeiterin Marion Bayer ver
    fasst hat und der hier gelesen werden kann.

    Ottmar Muth, Ulrich Hoffmann, Wolfgang Bauer, Heike Käppeler, Fritz Perels
und Thomas Ohl (der neue Vorstand von links nach rechts)
    Ottmar Muth, Ulrich Hoffmann, Wolfgang Bauer, Heike Käppeler, Fritz Perels
    und Thomas Ohl (der neue Vorstand von links nach rechts)

    Ein kleiner Verein mit großer Wirkung, weil er von Menschen geführt und begleitet wird, die mit Herzblut und Engagement dabei sind.
    Die Schwächsten der Gesellschaft finden hier offene Ohren und Türen, selbst in den vergangenen mehr als 2 Jahren der Coronabeschränkungen waren diese Türen offen und die Berater*innen erreichbar und ansprechbar. Es ist das Markenzeichen der Diakonischen Flüchtlingshilfe, dass sie immer dann da ist, wenn alle anderen geschlossen haben oder ein Termin erst in vier Wochen möglich wäre. So finden sich in der Metzgerstraße, wo die Beratungen stattfinden, Menschen aus aller Herren Länder ein und sie können ihre Fragen stellen, er-
    halten Rat und Hilfe, Trost und Mitgefühl, wo konkrete Hilfe nicht möglich ist. Was in diesen Tagen für viele deutlich wird, nämlich, das täglich neue Aufgabenfelder dazukommen, das ist die langjährige Erfahrung der Diakonischen Flüchtlingshilfe, ihr täglich Brot sozusagen. So wachsen die Aufgabenbereiche
    täglich, zur Flüchtlingsberatung kamen die aktuellen Krisen von Syrien, Afghanistan, Äthiopien und Somalia, die Aufgabe des „Watch The Med Alarm Phone“ für die Flüchtlinge im Mittelmeer, die Familien, Angehörigen und Betroffenen des 19. Februar und vieles mehr dazu. Wenn wir Sie neugierig gemacht haben,
    besuchen Sie unsere Homepage und sprechen Sie uns an, es gibt viel zu tun und es sieht nicht so aus als würde es in nächster Zeit anders werden.

    Für den Vorstand Pfarrerin Heike Käppeler

  • Bericht über die Flüchtlingsarbeit im Jahr 2021

    Dieser Bericht deckt das gesamte Jahr 2021 ab. In diesen 12 Monaten haben sich in der Flüchtlingsarbeit in Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis wie immer viele Herausforderungen ergeben. Es ist uns aber auch gelungen, das Team aus nur einer hauptamtlichen und vielen unermüdlichen aktivistischen und ehrenamtlichen Kräften weiter zu stabilisieren. Dabei war es sehr hilfreich, dass sich der Kirchenkreis nicht aus der finanziellen Unterstützung der hauptamtlichen Stelle zurückgezogen hat und wir uns daher weiterhin auf den Kern unserer Arbeit konzentrieren können.

    Das Jahr 2021 in Schlaglichtern

    Es war das zweite Jahr mit Corona

    – und das ganze Jahr hindurch hat sich weiter verfestigt, dass offene und niedrigschwellige Beratungsangebote nahezu verschwunden sind, während gleichzeitig bei vielen Menschen in prekären Lebensbedingungen weiterhin der Bedarf an (Sozial-)Beratung sehr hoch ist. Dementsprechend waren wir immer wieder auch mit Weitervermittlung an andere Beratungsstellen beschäftigt, machen entsprechend Termine, erklären Wege und bilden Brücken.

    Am 13. Januar 2021 wurde Niaz in der Gemeinschaftsunterkunft in Großkrotzenburg erstochen.

    Wir werden ihn nicht vergessen.
    Der Täter war nach Absitzen einer Haftstrafe wegen versuchten Totschlags in einer anderen Unterkunft erneut mit 70 Männern zusammen untergebracht worden. Warnungen von Bewohnern wegen seines auffälligen Verhaltens wurden ignoriert. Die Notausgangstür, vor der Niaz A. verblutete, klemmte. Es waren viele Fragen, die die Bewohner gemeinsam in einem offenen Brief formulierten, mit dem sie ihrer Trauer, aber auch ihrer Wut Ausdruck verliehen: sind unsere Leben weniger wert?
    Wir versuchten da zu sein, zuzuhören, gemeinsam mit dem Zentrum für Traumapädagogik und mehreren engagierten Menschen aus Großkrotzenburg. Bis in den Sommer hinein gab es mehrere Beratungen in Gruppen. Auch der Unterstützungsbedarf einzelner war groß, da viele die Tat aus nächster Nähe miterlebt, erste Hilfe geleistet und den Täter bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten hatten. Für viele, die zuvor im Krieg und auf der Flucht mit Gewalt und Tod konfrontiert waren, bedeutete der Mord an Niaz eine Re-Traumatisierung. Über mehrere Monate gelang es einem Großteil der Bewohner, sich gegenseitig Halt zu geben und sich mit ihren Fragen auch Gehör zu verschaffen. Ob es vor der Bluttat in der Asylbewerberunterkunft zu Unregelmäßigkeiten oder Übergriffen von Mitarbeitern der Gemeinde Großkrotzenburg gekommen war, beschäftigt auch die Staatsanwaltschaft. Die Bewohner haben zahlreiche Anzeigen gegen Mitarbeiter erstattet, unter anderem wegen Nötigung, Körperverletzung sowie Vorteilsnahme im Amt.

    Im Sommer wurden immer mehr Geflüchtete an der Grenze von Belarus zum Spielball der europäischen Migrationspolitik.

    Der belarussische Präsident Lukaschenko versuchte ähnlich wie der türkische Präsident Erdogan im vorangegangenen Jahr – mit dem europäischen Rassismus zu spielen und die Drohung einer einseitigen Öffnung der Grenze als Druckmittel einzusetzen. Politiker aller Parteien bliesen ins gleiche Horn: nur kein neues 2015! Gemeint waren – wie 2015 auf der Balkanroute – offene Grenzen, auch wenn es im Herbst 2021 nur um wenige Tausend Menschen ging. Stattdessen wurden Geflüchtete zur Abschreckung mit Stacheldraht an der polnischen Grenze abgeblockt und in Wäldern erfrieren gelassen.
    Die zunehmende Gewalt an den europäischen Außengrenzen ist immer wieder auch in der Beratung Thema.
    Diejenigen, die neu ankommen, haben teils massive Gewalterfahrungen auf der Flucht machen müssen:

    • Afghanische Familien mit kleinen Kindern, die mehrfach in der Ägäis und entlang der Balkanroute Opfer massiver push-backs wurden.
    • Mehrere Menschen, die inzwischen hier im Main-Kinzig-Kreis leben, haben lange Monate im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesvos vegetiert und waren dort, als das Lager bis auf die Grundfeste niederbrannte.
    • Menschen in unserer Beratung haben viele Tage auf dem Meer verbracht und mussten aus Seenot gerettet werden, manche haben dabei andere neben sich sterben sehen.
    • Viele der Frauen und auch einige der Männer sind Opfer sexualisierter Gewalt in solchen Lagern und in den Händen libyscher Milizen geworden.
    • Viele wurden Opfer massiver Gewalt durch Sicherheitskräfte.
    • Und manchmal kommen ihre Angehörigen und Freund*innen hier zu uns, weil sie mit Strafanzeigen und Kriminalisierung konfrontiert sind, wenn sie versucht haben, ihre Liebsten endlich in ihre Nähe und in Sicherheit zu bringen —- um dann an den deutschen Grenzen der Beihilfe zur illegalen Einreise beschuldigt zu werden.

    Seit kurzem passiert nun als europäische Antwort auf den Krieg in der Ukraine gegenüber den Flüchtenden das, was wir uns so oft gewünscht haben

    Ganz offiziell und allseits belobigt fahren Busse aus Deutschland an die ukrainische Grenze, um Hilfsgüter zu entladen und sie bringen auf dem Rückweg geflüchtete Menschen mit. Sogar die Regierungen in Polen oder Ungarn haben der neuen „EU-Massenzustrom-Richtlinie“ zugestimmt und ihre Grenzen geöffnet. Doch zumindest an der polnischen Grenze sind nicht alle Geflüchteten gleich. Hier haben Menschen mit Pässen aus afrikanischen oder asiatischen Ländern bei ihrer Flucht immer wieder besonders lange warten müssen. Die ersten Geflüchteten aus der Ukraine sind dieser Tage bereits in Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis angekommen. Sie werden – so sieht es aktuell aus – nach den Schrecken des Krieges zumindest mit weniger Bürokratie konfrontiert sein: sie können direkt Aufenthaltstitel beantragen, erhalten eine Arbeitserlaubnis und auch Zugang zu Sozialleistungen.
    Eine aktuelle Richtlinie sieht dies auch für nicht-ukrainische Staatsangehörige vor, die bis zum 24.Februar 2022 in der Ukraine ihren Lebensmittelpunkt hatten. Wie genau sich dies ausgestaltet, wird sich erst noch zeigen.
    Es wäre sehr wünschenswert, dass ein unbürokratischerer Umgang und vor allem ein direkter Zugang zu einem halbwegs normalen Leben nicht die Ausnahme bliebe.

    Afghanistan


    Ab dem 15.August wurde die Beratung sehr stark frequentiert von Menschen, die verzweifelt nach Lösungen für ihre Familien und Freundinnen in Afghanistan suchten, nachdem die Taliban die Macht ergriffen hatten. Diese Beratungen waren vor allem vom Zuhören geprägt, vom Versuch, das Ausmaß des Leids gemeinsam zu verstehen, und von Gesprächen darüber, wie mit der Ohnmacht umzugehen ist, wenn alle Wege versperrt sind und die Ignoranz hier so groß ist. Es waren sehr viele unterschiedliche Geschichten, die die Menschen erzählten: Richterinnen und Polizisten und viele zurückgelassene Ortskräfte von Bundeswehr, GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) und vielen NGOs, aber auch sehr viele, die als Angehörige von anderen, die bereits hier mit Schutzstatus leben, nicht in die engen Vorstellungen von (Kern-)Familie fallen (volljährige Kinder, Eltern erwachsener Kinder) und für die eine Familienzusammenführung nicht in Frage kommt. Sie sprechen auch über puren Hunger, insbesondere in Familien, in denen keine männlichen Erwachsenen mehr übrig geblieben waren und es den Frauen unmöglich wurde, ihrer Arbeit weiter nachzugehen. Und die, die hier sind und oft unter eher prekären Bedingungen nicht viel verdienen, sprachen oft darüber nicht zu wissen, ob sie 50 Euro der Familie des Bruders für Lebensmittel oder der Schwägerin für eine dringend benötigte medizinische Behandlung schicken sollten. Sie erzählten auch von weinenden Studentinnen, die so sehr um ihre Bildungschancen gekämpft hatten und sich jetzt nicht mehr aus dem Haus trauten. Und von den mutigen Frauen, die vor allem in Kabul auf die Straße gingen.
    Bislang gab es beschämend wenige Aufnahmen aus Afghanistan – und einen zu geringen öffentlichen Druck, um das zu ändern. Es ist nicht gelungen – wie früher in den Bleiberechtskämpfen gegen die Abschiebungen nach Afghanistan – eine nennenswert große Bewegung zu starten, die bessere Aufnahmebedingungen hätte durchsetzen können. Auch wenn es wie mit „Kabul Luftbrücke“ einige herausragende zivilgesellschaftliche Versuche gibt, der beschämenden Haltung der Bundesregierung etwas entgegenzusetzen, so bleiben sie zu schwach.
    Daher bleibt im Grunde allen, die nicht bereits eine Aufnahmezusage haben, nur übrig, sich auf dieselben Wege zu machen, wie so viele andere zuvor. Und dabei auf mehr und mehr Zäune und Mauern zu treffen und auf die massive Gewalt entlang der Grenzen zu Griechenland und Bulgarien und auf der Balkanroute. Viele afghanische Geflüchtete, die seitdem hier ankommen, sind entsprechend erstmal damit konfrontiert, gegen ihre Abschiebung in andere europäische Länder kämpfen zu müssen.
    Immerhin eines hat sich geändert: während das Bundesinnenministerium bis zuletzt an Abschiebungen nach Kabul festhalten wollte, sind diese seit dem Sommer ausgesetzt.
    Vielen der bereits seit langen Jahren nur geduldeten Afghanen haben wir zur Folgeantragsstellung geraten und nach und nach werden zumindest Abschiebeverbote vergeben.
    Ein großes Thema bleibt die Passbeschaffung, denn die afghanische Botschaft kann keine Pässe mehr ausstellen und die deutschen Behörden weigern sich nach wie vor deutsche Reiseausweise auszustellen, mit dem zynischen Hinweis, dass es nicht absehbar sei, ob die afghanischen Auslandsvertretungen (und damit die bisher nicht anerkannte TalibanRegierung) nicht doch in absehbarer Zeit Pässe ausstellen würden.

    Bleiberecht und Aufenthaltssicherung — Der Koalitionsvertrag und was zu hoffen wäre

    Im Herbst 2021 wechselte die Bundesregierung. Ein neuer Koalitionsvertrag formulierte Wünsche und Pläne. Neben einigen Enttäuschungen – vor allem bezogen auf die Migrationspolitik an den europäischen Außengrenzen – enthielt der Koalitionsvertrag eine entscheidende Verbesserung in Sachen Bleiberechtsregelung. So sollen Familien bereits nach 4 Jahren (statt bislang 6) und alleinstehende Personen nach 6 Jahren (statt bislang 8) eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Bleiberechtsregelung stellen können. Möglich sein soll eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe bereits nach 5 Jahren, wobei im ersten Jahr die Passbeschaffung sowie die Lebensunterhaltssicherung noch nicht vollständig sein müssten. Dies würde durchaus eine Verbesserung bedeuten. Vor allem für die große Personengruppe, die 2015/2016 nach Deutschland kam und sich hier bereits gut integriert hat, von denen aber viele auch mehr als 6 Jahre später noch immer kein Aufenthaltsrecht haben. Leider stockt es bei der Umsetzung und wir wissen nicht, wann die Regelung verabschiedet und in Kraft treten wird. Und leider hat Hessen keine Vorgriffsregelung erlassen und keinen Abschiebestopp verhängt für diejenigen, die eigentlich bereits unter diese Regelung fallen würden, wenn sie denn in Kraft getreten wäre.
    Somit bleibt bei dem gleichzeitig bekundeten Willen, Abschiebungen härter durchsetzen zu wollen, die große Befürchtung, dass einige noch vor Inkrafttreten der Regelung abgeschoben werden könnten.
    Da gleichzeitig der Druck zur Passbeschaffung durch die Ausländerbehörden massiv bleibt, bleibt es wie bisher dabei, dass es ein zäher Kampf ist, bis endlich ein Bleiberecht für langJährig Geduldete erreicht ist.

    Psychosoziale Anteile unserer Beratung


    Die tagtägliche Konfrontation mit einem von strukturellem Rassismus durchzogenen System zermürbt, (re-)traumatisiert und macht krank. Wir begleiten viele Personen, bei denen die traumatischen Belastungsstörungen auch aufgrund der dauerhaften Unsicherheit bereits chronifiziert sind.
    In sehr vielen Momenten gehen Menschen dennoch gestärkt aus der Tür wieder raus. Manche sagen, sie kommen vor allem für ein aufbauendes Gespräch, das sei ihnen eigentlich wichtiger als der Behördenbrief, den sie dabei haben.
    Das Kennen der Situationen und das Benennen des strukturellen Rassismus sind wichtig im Umgang mit dem Trauma. Wir werden zu wichtigen Zeug*innen im Wissen um den gefährlichen Weg, der Familienangehörigen noch bevorsteht, über das nur schwer Sagbare, an das sie sich erinnern, und über den Schrecken, der immer wieder über sie hereinbrechen kann. Das gemeinsame Benennen dieses Unrechts der strukturellen rassistischen Gewalt, kann helfen einen Rahmen zu geben, um das Geschehene einzuordnen. Es gibt einen großen Mangel solch offener Angebote, in denen das strukturelle Unrecht und der strukturelle Rassismus, mit dem diese Menschen täglich konfrontiert sind, als solche benannt und gemeinsam bekämpft werden.
    Wir sprechen über Rassimus, Kolonialismus, Kriege und Waffenlieferungen, Fundamentalismus und Hetze, Sexismus, Genitalverstümmelung und Femizide. Wir versuchen das erlittene Unrecht als solches anzuerkennen und gleichzeitig immer die Stärken der Überlebenden zu betonen und Lösungen für die individuellen Probleme in den Vordergrund zu stellen.

    Beratungsschwerpunkte im Überblick


    Zweimal wöchentlich (immer Montags 14:00-17:00 Uhr sowie Donnerstags 12:00-14:00 Uhr) bieten wir in der Metzgerstrasse 8 in Hanau das Flüchtlingscafe an, in dem offen beraten wird. Das Flüchtlingscafe ist nicht zuletzt auch ein Ort der Begegnung von Geflüchteten und der Stärkung von solidarischem Handeln. Hierher kommen Menschen mit unterschiedlichen Themen und Fragestellungen.

    Beratung im Asylverfahren

    In unsere Beratung kommen vor allem Menschen, deren Asylverfahren noch nicht oder bereits negativ abgeschlossen ist. Ihnen bieten wir an:

    • Hilfe bei Fragen rund um das Asylverfahren, auch Anhörungsvorbereitung
    • Unterstützung bei abgelehntem Asylantrag, bei Anwaltssuche und Vorbereitung auf Klageverfahren
    • Beratung bei drohender Abschiebung; auch in den sogenannten Dublin-Verfahren, wenn Abschiebungen innerhalb Europas drohen
    • Vermittlung, Beratung, Begleitung und Unterstützung (auch von Kirchengemeinden) bei Kirchenasylen
    • Hilfe bei Fragen zu Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

    Psychosoziale Beratung

    • zum Umgang mit Traumatisierung und posttraumatischen Belastungsstörungen
    • Vermittlung und Begleitung zur Psychiatrie
    • Vorbereitung und Vermittlung für psychologische Gutachten
    • Begleitung Geflüchteter, die Opfer von Straftaten und Gewalt wurden.

    Besonderen Beratungsbedarf haben Frauen auf der Flucht und sie nutzen die Beratung auch stark:

    • Opfer von Genitalverstümmelung (FGM) v.a. aus Somalia, aber auch Äthiopien und Nigeria;
    • Betroffene von Menschenhandel v.a. aus Nigeria;
    • Gewalt gegen Frauen auf der Flucht;
    • Trennung bei aufenthaltsrechtlichen Abhängigkeiten, teils in Verbindung mit häuslicher Gewalt.

    Weitervermittlung zu anderen Beratungsstellen

    Begleitung und Hilfe bei Behördengängen

    Begleitung und Hilfe bei Behördengängen (Ausländerbehörde und Sozialamt), bei Gängen zu Ärzt*innen, anderen Gesundheitsinstitutionen und Rechtsanwält*innen.

    Finanzielle Unterstützung von Geflüchteten bei Rechtsanwaltskosten im Asylverfahren

    Aufgrund des hohen Bedarfs und der sehr begrenzten Mittel sind Unterstützungsanfragen bei der Diakonischen Flüchtlingshilfe in der Regel auf maximal 100 Euro begrenzt.
    Wir unterstützen in Fällen von besonderer (juristischer) Bedeutung auch bei der Stellung von Rechtshilfeanträgen an Pro Asyl.

    Vernetzung lokal, regional und transnational – An diesen Netzwerken arbeiten wir mit

    AK Asyl

    Auf lokaler Ebene ist der Arbeitskreis Asyl seit 2014 ein wichtiger Kreis für Vernetzung in Hanau. Der AK Asyl arbeitet zu Themen wie Deutschkurse, Freizeitangebote, Kirchen- und Bürger*innen-Asyl, Patenschaften, Schule und Ausbildung, Wohnungssuche und anderem mehr. In Phasen besonders hoher Inzidenz-Zahlen haben wir die monatlich stattfindenden Treffen online gemacht und den Austausch so über die gesamte Zeit der Pandemie immer aufrechterhalten. Interessierte können gerne zu diesen offenen Treffen hinzustoßen.

    Initiative 19.Februar Hanau

    Viele aus unserem Team engagieren sich zudem von Anfang an und weiterhin ehrenamtlich in der Initiative 19.Februar Hanau und sind aktiv in der Aufrechterhaltung der Struktur der Anlaufstelle in der Krämerstr. 24, bzw. über die Arbeit im JUZ Kesselstadt.

    Vernetzung mit dem Diakonischen Werk und FIAM (Flucht, Interkulturelle Arbeit, Migration der Diakonie Hessen)

    Über verschiedene Austauschtreffen und Juristisches
    Coaching sind wir im engen Austausch mit Beratenden des Diakonischen Werks zu unterschiedlichen Themen.

    Aktionsbündnis gegen Abschiebung Rhein-Main

    Seit vielen Jahren treffen sich hier Aktive aus verschiedenen Gruppen unter anderem rund um die Themen Abschiebungen (vom Frankfurter Flughafen) und Abschiebehaft (in Darmstadt-Eberstadt).

    We’ll Come United

    In Pandemie-Zeiten weniger aktiv als zuvor hält sich das bundesweite Netzwerk selbstorganisierter Geflüchteter weiterhin.

    Watch The Med Alarm Phone

    Das Alarm Phone ist nun im achten Jahr 24 Stunden täglich als Hotline für Geflüchtete in Seenot erreichbar. Von Beginn an war ein Team aus Hanau an dieser Hotline beteiligt. Inzwischen organisieren sich hier 200 Aktive aus vielen verschiedenen Ländern.

    Welcome to Europe

    Im letzten Jahr waren es Pandemie-bedingt weniger Reisen nach Griechenland und an die europäischen Außengrenzen. Der Webguide w2eu.info stellt jedoch weiterhin 4-sprachig Informationen für Geflüchtete zur Verfügung.

    Das Team

    Die Beratungsarbeit der Diakonischen Flüchtlingshilfe ist in hohem Maße getragen von den vielen Beteiligten, die nicht hauptamtlich beraten.

    Marion Bayer

    Ist seit 1.1.2020 hauptamtlich mit 19 Wochenstunden tätig. Sie berät in der offenen Beratung zweimal wöchentlich. Die 1.550 erfassten Beratungen in 2021 beziehen sich nur auf diese Stelle, alle anderen Beratungen sind statistisch nicht erfasst.

    H. Putsche / Mohses

    Ist nun seit über zwei Jahren in Rente, aber weiterhin aktiv, vor allem in sozialrechtlichen Fragen und beim Thema Passbeschaffung. Aus der offenen Beratung ist er zwar ausgestiegen, unterstützt aber weiterhin bei anfallenden Fragen und auch in der Verwaltung der vielen Akten.

    D.M.

    Macht nach wie vor Beratung bezüglich Inkasso-Unternehmen und Handy-Verträgen und hilft bei Anträgen an das Versorgungsamt (Behindertenausweise). Sie hat schon viele Klient*innen vor überzogenen Mahnkosten bewahrt und zu angemessenen Einstufungen der Behindertengrade verholfen.

    G.K.

    Berät seit vielen Jahren und nach wie vor in Hartz-IV-Angelegenheiten, unter anderen auch viele Geflüchtete mit Aufenthaltsstatus. Neben Beratung im Weststadt-Büro in Hanau-Kesselstadt,; berät er donnerstags auch in der offenen Beratung in der Metzgerstraße.

    Die Rezeption – K., C., K., L. & B.

    Alle sind auch sonst in der Metzgerstraße aktiv und arbeiten seit geraumer Zeit in den offenen Beratungscafés mit. Montags und donnerstags ist jeweils einer von ihnen bei den Beratungscafés dabei. Die Rezeption erstellt die Anwesenheitsliste und schaut, wer wann dran ist. Sie haben ein offenes Ohr für diejenigen, die nicht warten können und helfen bei der Priorisierung. Sie unterstützen in vielen Fällen über diese Anwesenheit bei den Beratungscafés hinaus durch Begleitungen zu Ämtern und Ärzt*innen. Kurz gesagt: sie sind unersetzbar.

    Die Französisch-Unterstützerinnen – Co, Annika & Julie

    Seit inzwischen fast zwei Jahren werden zunehmend Geflüchtete aus Guinea dem Main-Kinzig-Kreis zugewiesen. Zuvor kamen sehr wenige französischsprachige Menschen aus Westafrika hier her, dadurch gab es keine gewachsenen Community-Strukturen, die Neu-Ankommende unterstützen können. Die Französisch-Unterstützerinnen sprechen mehr oder weniger gut Französisch und begleiten v.a. zu Arztterminen, helfen beim Eröffnen von Bankkonten und erleben dabei sehr vieles, wofür manchmal die Worte fehlen.

    Das Schreibzimmer des AK Asyl

    Seit vergangenem Herbst hat sich aus dem Arbeitskreis Asyl eine neue Gruppe zusammengefunden, die montags parallel zur Beratung in der Metzgerstraße in der Stadtbibliothek (in Zusammenarbeit mit dem Seniorenbüro) ein Schreibzimmer anbietet. Dort gibt es Unterstützung bei Briefwechseln aller Art – eine große Entlastung!

    Einige Zahlen

    Im Jahr 2021 haben wir statistisch nur die Beratungen erfasst, die im Rahmen der zweimal wöchentlich stattfindenden offenen Beratungscafés stattfanden und von Marion Bayer durchgeführt wurden.
    Insgesamt handelte es sich im gesamten Jahr um 1.519 über dieses offene Angebot erfasste Beratungen.

    JanFebMrzAprMaiJunJulAugSeptOktNovDez
    699812710812312317814716413615789

    Hinzu kommen (statistisch nicht erfasst):

    • Einzelberatungen, die nicht erfasst wurden, vor allem durch H. Putsche (Mohses)
    • die gesamte Schuldenberatung durch Doris Meinders;
    • die Beratungen zu SGB Il durch Günther Kugler;
    • sowie ungezählte Begleitungen zu Ämtern und Behörden, Ärzt*innen, in die Psychiatrie und zu Gutachten-Terminen.

    Verteilung nach Herkunftsländern im Jahr 2021 (grobe Schätzung):

    • Afghanistan 33%
    • Somalia 23%
    • Guinea 10%
    • Äthiopien 8%
    • Nigeria 6%
    • Pakistan 6%Afghanistan 33%
    • Somalia 23%
    • Guinea 10%
    • Äthiopien 8%
    • Nigeria 6%
    • Pakistan 6%
    • Iran 4%

    Außerdem Syrien und Türkei (v.a. Kurd*innen), Iraq, Nordmazedonien (Romnja), Ghana, Aserbaidschan, Gambia, Tanzania, Senegal, Russische Föderation.
    Wohnorte in ungefährer numerischer Reihenfolge:
    Hanau, Maintal, Großkrotzenburg, Bruchköbel, Erlensee, Langenselbold, Nidderau, Ronneburg, Rodenbach, Neuberg, Hammersbach, Schöneck, Gelnhausen, Schlüchtern, BadSoden Salmünster, Gründau, Wächtersbach, Hasselroth, Biebergemünd, Steinau a.d.Str., Sinntal, Bad Orb
    Außerhalb des Main-Kinzig-Kreises v.a.: Büdingen (HEAE), Hainburg, Friedberg Vereinzelt auch aus allen anderen Hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen, v.a. Verwandte und Bekannte von in Hanau und dem MKK lebenden Geflüchteten.